MUSE(H)NSUCHT

Sabine Carbon -  Fotografie






Eröffnungsrede der
Kunsthistorikerin Dr. Sabine Ziegenrücker:


Sabine Carbon, studierte Archäologin und Journalistin, hat 2008 David Chipperfield, den Architekten des Neuen Museums Berlin, längere Zeit mit der Kamera begleitet. Dabei entstand eine knapp einstündige, sehr stimmungsvolle Fernsehdokumentation über den Architekten und Menschen.

In ihrer Bilderfolge "Muse(h)nsucht" zeigt Carbon nun Eindrücke aus einer Zwischenzeit, in der das Gebäude des Neuen Museums mit Exponaten eingerichtet wird. Geschäftiges Treiben herrscht hier fern der Öffentlichkeit. Ein voyeuristischer Blick durch das Schlüsslelloch wird auf einen normalerweise verborgenen Alltag geworfen. Die Fotografin folgt der Neugier, dem Verlangen, einen Blick hinter die Kulissn zu erhaschen, auf die verborgenen Geheimnisse, die üblicherweise nur Insidern zugänglich sind.

Was ist wohl so reizvoll an diesem Blick auf das Unfertige, auf den Entstehungsprozess? Allenthalben ist das Interesse groß, denkt man an die zahllosen Baustellenbesichtigungen, das jahrelange Treiben um den Abriss des Palastes der Republik, aber auch vor allem an das Neue Museum selbst. Monatelang wurde diese Baustelle zelebriert, auf allen Kanälen unserer medialen Welt begangen - anfangs noch verhaltener, dann allgemein euphorisch.

Sabine Carbon zeigt in diesem Treiben einen unwiederbringlichen Moment: die Inaugurierung, die Einrichtung des Stüler-Chipperfieldschen Baus, als Ikone schon vor seiner Ferstigstellung gefeiert, in Bildern jeder Zeitlichkeit enthoben. In Carbons Bildern
nun richtet sich der Blick ganz auf den Moment, auf das Hier und Heute. Das Haus zeigt sich völlig unverstellt in seinem Alltag. Indem die Bilder jeglicher Auratisierung entgegenwirken, ermöglichen sie eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Bau und seiner Funktion. Damit gibt die Fotografin wieder Platz für die eigene Sicht, befreit von medialer Überhöhung und Interpretation.

Paradigmatisch erscheint in diesem Zusammenhang der Blick die Zentraltreppe hinab. Er führt nicht wie üblich hinauf zum Erhabenen, Geistigen, Schönen, sondern nach unten. An ihrem Ende wird die Treppe flankiert von einer Reinigungskraft und einem Wachmann. Die Niederungen des Alltags sind allenthalben präsent.

Die Fotografin zeigt eine ganz andere Seite dieses vielschichtigen Baus. Die Opulenz des 19. Jahrhunderts wird vor Augen geführt, als klassische Bildung noch ein integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses war. Chipperfield schafft es, hier anzuschließen und das ist es wohl auch, was die Archäologin Carbon interessiert. Der Umgang, das Leben mit den Objekten spiegelt den Blick der Fachfrau, der Eingeweihten.
Es ist diese Form der liebevollen Vertrautheit im Umgang mit den Dingen, die aus den Bildern spricht, was uns zugleich den Zugang erleichtert: eine Nischenfigur steht noch
etwas ungelenk im Raum, die Philosophenköpfe wirken verloren im leergefegten Niobidensaal, aus dem ein grünes Notausgangsschild leuchtet, die Säulen sind angeschnitten und folglich in ihrem Pathos gestutzt, der Blick vielfach auf weite Fußbodenflächen gerichtet.

Sabine Carbon hat einen Blick, der den Betrachter an der Szenerie teilhaben lässt, ohne
ihn in seiner Eigenständigkeit zu beeinträchtigen. Es werden eben keine Ikonen abgebildet, was befreiend wirkt nach den Monaten der medialen Einstimmung auf das Großereignis ´Neues Museum´.

Gleichzeitig richtet die Fotografin den Blick auf den Schmutz, den Makel, das Groteske, der aber nicht entstellend wirkt. Die Diven der Archäologie geben sich hier ganz ungeschminkt vor dem großen Auftritt: Die Karyatiden werden von Absperrhütchen flankiert, just vor dem Sockel, auf dem Nofretete Platz nehmen wird. Zudem wird die Sicht auf diesen zentralen Raum noch verstellt von einer riesigen Leiter. Doch werden diese technischen Hilfsmittel mühelos von der Würde des Ortes, des Portals mit den Karyatiden, überstrahlt. Sie stehen im wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinn darüber.

 
Und trotz des humorvollen Augenzwinkerns, das Carbon durchaus hat, wenn sie ihr Personal in Form von Absperrhütchen, Leitern oder Gerüstbauten ins rechte Licht rückt, so zeugt ihr Blick doch von großem Respekt gegenüber dem Bau und seinen Protagonisten. Sie dokumentiert mit bewusst subjektiven Mitteln und leistet dabei auch noch manch hintersinnigen Kommentar: So hat sie die Fotos der beiden Wandmalereien auf Leinwand drucken lassen – ein in der zeitgenössischen Fotografie eher beargwöhntes Reproduktionsverfahren, da es vorgibt mehr zu sein – eben ein klassisches werthaltiges Ölgemälde – als es ist – nämlich eine recht einfache Reproduktion. Diesen negativen Beigeschmack nutzt Carbon bewusst, um auf die Glaubwürdigkeit der Antikenrezeption im 19. Jahrhundert  zu verweisen. War es doch ein Anliegen, mit der Wandmalerei ein möglichst originalgetreues Bild von den Ausgrabungsstätten für den Betrachter in Berlin herbeizuzaubern. Da die Reiseberichte und vor allem die erst ganz neue Technologie der Fotografie noch nicht so weit fortgeschritten waren, musste es für den Betrachter auch um die Dokumentation der Ausgrabungsstätten gehen und keineswegs allein um ein Stimmungsbild. Carbon nutzt als Dokumentarfotografin diese Brechung im Hinblick auf den Bildgegenstand – die Wandmalerei -, aber übt sich auch durchaus in Selbstironie und reflektiert damit ihre eigene Form der subjektiven Dokumentation.

Diese ironische Selbstbeschränkung kommt auch in anderen Punkten zum Ausdruck, wenn zentral angelegte Blickachsen bewusst im Bild leicht verschoben sind, grüne Notausgangsschilder vorwitzig leuchten, die Skulptur ebenso wie der Staubsauger bildlich verarbeitet werden.

 So schafft Carbon es mit ihren Bildern, die Schönheit des Ortes kraft der zufälligen Inszenierung hervorzuzaubern. Es geht ihr dabei um die Aufnahme eines historischen Moments ganz im Bewusstsein der eigenen Gebundenheit an den Lauf der Geschichte.

 Unter Chipperfields Hand entstand mit den Mitteln der Collage aus intaktem Klassizismus, Ruine und Moderne ein neues Gesamtkunstwerk. In diesem Geist, dem des Gesamtkunstwerks, war auch schon Stülers Bau 1843 errichtet worden, so dass die Stülersche Idee einer fortschreitenden Geschichtlichkeit mit dem heutigen Museum weitergeschrieben wird.  Die zeitgenössische Zutat ist das Collagenartige, das mit dem Zufall eng gepaart ist. Dies ist es, das Carbon mit ihren Bildern einfängt und sich so dem Geist des Neuen Museums auf besondere Weise nähert. Es ist dieser Zauber, der auch die Chipperfieldsche Architektur so bestechend schön erscheinen lässt: aus Kennerschaft und Respekt vor der Geschichte entstanden, im täglichen Umgang mit ihr geschult und so das Bildungsideal, das Stülers Bau so sehr verkörpert, in sich tragend, weitertragend.